Die heimatlose Nomadin

Suzanne Bohn referierte am Weltfrauentag über die französische Autorin Marie Cardinal

Suzanne Bohn berichtete aus dem Leben der Autorin Marie Cardinal.
Gut besucht war der Vortrag von Suzanne Bohn in der Kunstgalerie am Büchnerhaus.

Seit über 20 Jahren ist Suzanne Bohn, Tochter einer Französin und eines Deutschen, in der Büchnerstadt Riedstadt gern gesehener Gast zum Weltfrauentag und stellt in kurzweiligen Vorträgen bekannte und hierzulande auch nicht so bekannte Französinnen vor. In diesem Jahr konnte die Riedstädter Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Muth die Vortragskünstlerin genau am Weltfrauentag, dem 8. März zu der Kooperationsveranstaltung mit dem städtischen Kulturbüro in der Kunstgalerie am Büchnerhaus begrüßen. Zu den vielen Frauen hatte sich auch ein Mann gesellt, der schmunzelnd anmerkte: „ich fühle mich sehr wohl hier!“  

Mit der französischen Autorin Marie Cardinal, geboren einen Tag nach dem Weltfrauentag, am 9. März 1928 und gestorben am 9. Mai 2001, stellte Bohn erneut ein bewegtes Frauenleben vor. „Die Vertriebene und ewige Nomadin“ hatte sie ihren Vortrag betitelt. Denn als Marie Cardinal 1957  Algerien verlässt, wird sie nach der Unabhängigkeit Algeriens nie wieder in ihre geliebte Heimat zurückkehren. Geboren wurde sie in eine reiche, gebildete Familie französischer Kolonisten. Die Mutter hasste den Vater aus tiefstem Herzen und reichte die Scheidung ein, als sie mit ihrem jüngsten Kind Marie schwanger war. Das Mädchen fühlte sich immer ungeliebt und bekommt schließlich von ihrer Mutter erzählt, dass sie in der Frühschwangerschaft alles versucht habe, das ungewollte Kind zu verlieren.  

Liebe, Wärme und Geborgenheit erlebt Marie dagegen bei den muslimischen Frauen, die den Haushalt der Mutter besorgen und das Mädchen umsorgen. Die Mutter dagegen beachtet die Tochter kaum und will sie nach den starren Regeln des katholischen Großbürgertums zu einer braven Ehefrau erziehen. „Meine Erziehung war eine Schule der Verlogenheit. Meine Mutter hat mich mir entfremdet“, urteilt Cardinal später über diese Zeit. Eigentlich zieht es Marie Cardinal zur Mathematik und den Naturwissenschaften. Ein Ding der Unmöglichkeit, befindet die Mutter – und so studiert die Tochter Philosophie.  

Sie heiratet 1953 den Akademiker Jean-Pierre Ronfard. Das Paar wird nacheinander nach Griechenland, Portugal und Wien versetzt, wo sie an französischen Gymnasien unterrichten, während in ihrer Heimat der Unabhängigkeitskrieg tobt. In gerade mal vier Jahren werden drei Kinder geboren. „Dann beschließt ihr Mann, dass er für die Ehe nicht so gemacht ist und wandert nach Kanada aus“, formuliert es Bohn. Marie Cardinal findet sich in Frankreich wieder. „Ohne Heimat, ohne Mann, ohne Geld und mit drei sehr kleinen Kindern“, berichtet Bohn.  

Nach dem Zusammenbruch ihrer Welt triftet Marie Cardinal in die Einsamkeit und den Wahnsinn ab. Was mit einem schleichenden Burnout beginnt, steigert sich zu Halluzinationen und Panikattacken. Sie geht freiwillig in die Psychiatrie, verlässt sie aber bereits nach zwei Tagen aus Angst, dass ihr die Kinder weggenommen werden. Noch am selben Tag beginnt sie eine erfolgreiche Psychotherapie, die acht Jahre dauern wird.  

Da sie als Dozentin nicht mehr arbeiten kann, beginnt sie zu schreiben. Und das mit großen Erfolg. „Der Schlüssel liegt unter der Matte“ wird auch in Deutschland ein Riesenerfolg, ähnliches gilt für das Buch „Schattenmund“, in dem sie ihre Erfahrungen mit der Psychoanalyse beschreibt. Denn ihre Bücher sind Autobiografien, die sie als Fiktion tarnt, so Bohn. „Es sind packende und ehrliche Zeugnisse einer Frau des 20. Jahrhunderts, deren persönliche Geschichte sich kreuzt mit den Geschicken ihres Jahrhunderts.“