Am 16. Oktober 1999 gründeten eine Handvoll Ehrenamtlicher die „Hospizgruppe Riedstadt“. Ein Vierteljahrhundert und eine Umbenennung später ist daraus die „Wegwarte – Ambulanter Hospiz- und Palliativdienst Ried e.V.“ mit drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und mehr als 30 Ehrenamtlichen geworden, deren Einsatzgebiet weit über Riedstadt hinausgeht. Daran erinnerte die Vorsitzende Dorothea Fauser bei der Begrüßung zu dem Vortrag „Selbstbestimmt leben. Selbstbestimmt sterben?“ im Sitzungssaal des Riedstädter Rathauses.
Denn der Vortrag der Soziologin Dr. Swantje Goebel fand im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25jährigen Jubiläum des ambulanten Hospiz- und Palliativdienstes statt. Ein Jahr lang will die Wegwarte mit verschiedensten Veranstaltungen den Meilenstein würdigen, Auftakt war im Oktober letzten Jahres mit einem Benefizkonzert des Mundart-Kult-Duos „Bees Denäwe“ im alten Rathaus Crumstadt. Schirmherr aller Jubiläumsveranstaltungen ist Riedstadts Bürgermeister Marcus Kretschmann.
Dieser sprach an dem Abend nicht nur seine herzlichsten Glückwünsche aus und überreichte im Namen der Stadt einen Geburtstagsscheck, sondern bedankte sich für das außerordentliche ehrenamtliche Engagement in über 25 Jahren. „Es ist das große Verdienst des Ambulanten Hospiz- und Palliativdienstes Wegwarte, Sterben wieder als Teil des Lebens bewusst zu machen. Die vielen, meist ehrenamtlich engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schauen nicht weg, sondern begleiten mit großem persönlichem Einsatz und Einfühlungsvermögen Sterbende und Schwerkranke auf ihrem letzten Weg und unterstützen sie und ihre Angehörigen. Dabei beweisen sie stets aufs Neue, wie viel Lebensfreude auch in der Trauer und im Abschied möglich ist“, würdigte der Bürgermeister die Arbeit der Wegwarte.
Er wies darauf hin, wie gut die Wegwarte in die Büchnerstadt passe. Ist hier doch auch die Stiftung Soziale Gemeinschaft Riedstadt mit der Beratungsstelle für ältere Menschen angesiedelt, die sich zum Ziel gesetzt hat, älter werdenden Menschen auch weiterhin ein Leben zuhause zu ermöglichen. So war die Veranstaltung an diesem Abend denn auch eine Kooperation mit der Beratungsstelle. Deren Leiterin Stefanie Drozdzynski dankte in ihrem Grußwort für die gute Zusammenarbeit und den Austausch. Sie betonte: „Wenn andere den Satz sagen: ‚ich kann nichts mehr für Sie tun‘, fangt ihr erst an. Ihr könnt genau hinhören, zuhören – und ganz wichtig: einfach mal aushalten.“ Drozdzynski folgerte: „Wenn nichts mehr geht, geht noch ganz schön viel!“ Durch die Hospizarbeit der letzten 25 Jahre habe es eine „Revolution der Mitmenschlichkeit“ gegeben.
Die Soziologin Dr. Swantje Goebel ist seit 25 Jahren in der Hospizarbeit aktiv, engagiert in der Deutschen Gesellschaft für Patientenwürde und Vorständin der Einrichtungen des Hospizes Bergstraße. In ihrem soziologischen Fachvortrag, in den sie immer wieder das Publikum mit einbezog, vollzog sie mit zehn Feststellungen eine Standortbestimmung rund um die Kernfrage, wie in unserer Gesellschaft mit dem Thema Sterben umgegangen wird.
Komplexität sei ein Kennzeichen unserer sozialen Wirklichkeit, damit werde auch das Sterben, als Bestandteil des Lebens, kompliziert, führte die Soziologin aus und erläuterte im Folgenden, was sie alles dazu zählt. Wir alle bräuchten Trauerrituale, doch gebe es heute nicht mehr die alten, verbindlichen Trauerrituale, In unserer heutigen, individualisierten Zeit gebe es ein Mehr an Selbstbestimmung, würden Lebensentscheidungen selbst getroffen und müssten dann auch selber verantwortet werden. „Natürlich erwarte ich dasselbe für mein Lebensende“, erklärte Goebel. Hinzu komme, dass es zwar eine „Todesgeschwätzigkeit“ gebe, da der Tod in Medien, Krimis und dergleichen allgegenwärtig sei. Doch gleichzeitig würden der gewöhnliche Tod und das gewöhnliche Sterben nicht behandelt.
Statistisch gesehen würde in immer späteren Lebensphasen gestorben. Das führe zu dem Selbstverständnis, wir hätten den Tod im Griff. Die Todesursachen hätten sich durch Wohlstand massiv gewandelt. Heute würden wir vor allem an sogenannten Zivilisationskrankheiten sterben, schrittweise und mit einer Menge an Symptomen. Dieses langsame Sterben, das schrittweise Verabschieden aus dem Leben, führe jedoch zu ganz neuen Herausforderungen.
Das Foto von Dr. Swantje Goebel stellte freundlicherweise Jürgen Gallus zur Verfügung.