Im stilechten Garçonne-Look der 1920er Jahre mit Hemd, Krawatte und Weste begrüßte die Riedstädter Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Muth am Weltfrauentag die vielen Frauen und einen mutigen Mann in der restlos ausverkauften Kunstgalerie am Büchnerhaus. Denn genau um diese Zeit ging es in dem kurzweiligen Vortrag von Suzanne Bohn. Die deutsch-französische Vortragskünstlerin kommt schon seit vielen Jahren zum Weltfrauentag am 8. März in die Büchnerstadt. Dieses Mal stellte sie in der Kooperationsveranstaltung von städtischen Kulturbüro und der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten das einfache Bauernmädchen Alice Prin aus dem Burgund vor, das als Kiki de Montparnasse in der Dekade nach Ende des Ersten Weltkriegs das Pariser Nachtleben dominierte und als Model und Muse zahlreicher Künstler diente.
Sie wurde zum Symbol einer Epoche, in der nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs ein geradezu hysterisches Vergnügungsbedürfnis herrschte, verbunden mit einer fieberhaften Schaffens- und Lebenslust. Paris wurde zum Zentrum des pulsierenden Lebens, „zur „Welthauptstadt der Ausschweifungen“, wo man ohne Ausbildung zum Star werden konnte – „und manchmal auch ohne Talent“, wie Bohn augenzwinkernd anmerkte. In dieser Atmosphäre wurde Alice Prin zur Königin von Montparnasse. Geboren 1901 als uneheliches drittes Kind ihrer zu dem Zeitpunkt 19jährigen Mutter, wird sie bei ihrer Großmutter abgeladen und wächst in ärmlichsten Verhältnissen im Burgund auf. „Die alte Dame diente als Sammelstelle der Kinder ihrer Kinder“, so Bohn.
1913 wird die Zwölfjährige von ihrer Mutter nach Paris geholt, wo sie sich nach nur kurzer Schulzeit verdingen muss. „Das war nicht Alice im Wunderland, sondern Alice im Schreckensland“, erklärte die Referentin. Nachdem das Mädchen nach zahlreichen Wechseln auch als Magd bei einer Bäckerin entlassen wurde, verheimlichte dies die 14jährige und stand erstmals einem Maler nackt Modell, um Geld nachhause zu bringen. Als die Mutter dahinterkam, schmiss sie ihre Tochter raus und Alice landete auf der Straße. „Es ist nur ein kleiner Schritt vom Straßenkind zum Straßenmädchen“, erklärte Bohn.
Ihr makelloser Körper wurde ihr Kapital. Sie stand zahlreichen Malern Modell und wurde 1921 Geliebte und bevorzugtes Modell des amerikanischen Fotografen Man Ray. Als Kiki de Montparnasse führte sie ein wildes, ausschweifendes Leben an der Seite von Legenden wie Modigliani, Soutine und Ernest Hemingway und war selten nüchtern. Sie war nicht nur Muse, sondern versuchte sich auch in Gesang, Schauspielerei und Malerei.
Doch ihr Ruhm währte nur ziemlich genau zehn Jahre. Ihr ausschweifendes Leben forderte seinen Tribut, sie verfettete immer mehr und tauschte ihre Alkohol- gegen eine Drogensucht. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie als Prostituierte und lebte nach 1945 als Bettlerin. 1953 starb sie an den Folgen ihrer Drogensucht und wurde auf dem Armenfriedhof in Paris begraben.